Fehlerdiskussion
Zur Analyse der Aussagen tasten wir uns von der „Spitze“ ausgehend vor. Als Vergleichsarbeiten werden hier nur die einzigen Primärdokumente akzeptiert [2, 3].
1) Mit „an der Spitze … befand sich der … Rotationskörper“ suggeriert Dornberger eine rotierende Spitze und die meisten Memoirenschreiber übernahmen das. Doch dem ist nicht so. Zitat von von Braun: „Auf dem Ulmalbehälter aufgeschraubt ist das Kreiselgehäuse, in welchem der Stabilisator in Kugellagern läuft; über eine Seilscheibe kann dieser von außen angeworfen werden. Die Haube wird erst unmittelbar vor dem Zünden aufgesetzt“ [4]. Also auch keine „Achse eines Drehstrommotors“ – das ist technisch ungenau. Richtiger muss es „der Rotor eines Drehstrommotors“ heißen. Der zugehörige Stator wurde in den Startturm verlegt. Das sollte aber erst Konstruktionsmerkmal des A2 werden, obwohl Ende 1933 für eine ausgeführte A1-Variante schon diese Variante fertig entwickelt worden war [5]. In den ersten Varianten war der Stabilisator eine einfache Massescheibe, die durch ein Seil angetrieben wurde!
Ergänzend einige Hinweise zum anfänglichen Kreisel beim A1: „Bei den ersten Laufversuchen wurde der Kreisel mit einem Elektromotor über eine Stahllitzen-Transmission angetrieben. Nach Erreichen der Höchstdrehzahl von 8.900 min-1 wurde die Litze dann von der Seilscheibe herunter geschoben. Dieses geschah in zuverlässiger Weise dadurch, dass eine bewegliche Spannrolle in dem Augenblick des Lösens der Transmission fortgezogen wurde; hierdurch verlor die Litze ihre Spannung und wurde durch ihre eigene Fliehkraft von den Seilscheiben abgehoben. Schon für die ersten Startversuche kam aber eine derart primitive Anwurfmethode nicht mehr in Betracht, da dann zu viele Funktionen unmittelbar vor dem Start auszuführen gewesen wären“ [6].
2) Der Kreisel wog keine 40 kg. In der Dissertation werden das notwendige stabilisierende Moment des Kreisels und die Rotationsgeschwindigkeit bestimmt. Für das A2 vergrößerte man das Trägheitsmoment des Rotors etwas und das Querträgheitsmoment der Rakete verkleinerte man durch Veränderung der Anordnung der einzelnen Hauptmassen [7]. Insgesamt ist aber das A2 durch diverse Umkonstruktionen etwas schwerer geworden, als das A1 (z.B. durch den separaten Sauerstofftank aus Alu) [4]. Somit sollte die Masse des Kreisels ungefähr gleich geblieben sein, höchstens aber etwas größer geworden sein als beim A1. Nach Einsicht der Zeichnungen aus Freiburg wog der Kreisel des A2 29 ± 1 kg. Der Autor ist somit überzeugt, dass der Kreisel des A1 eine Masse von nicht mehr als 25 kg besaß.
3) Die Masse des Treibstoffes (Brennstoff + Oxidator) wird bei den Primärquellen mit „ungefähr 32“ (Beispielrechnung A1 aus Dissertation) und 35 kg (A2-Bericht aus Borkum) angegeben. Das sind keine 40 kg wie bei Dornberger. Für die folgende Volumenberechnung mit dem Massenverhältnis Ethanol zu Sauerstoff = 0,8 heißt das, dass hier die Verhältnisse bei maximal 16 kg Brennstoff zu 19 kg Oxidator liegen.
4) Die „Abschussrinne“ war wie auch beim späteren A2, ein 10 bis 12 m hoher Abschussturm aus Stahlprofilen, in dem die Rakete geführt wurde. Sie erhielt irreführend die Bezeichnung Rutschrinne und wurde lt. den Zeichnungen in Freiburg bereits im Oktober 1933 von Wernher von Braun selbst konstruiert.
5) Das Startgewicht des A2 betrug 107 kg. Da das A2, wie von Braun schrieb, durch „geringe Gewichtsvermehrung“ etwas schwerer als das A1 wurde, kann das A1 keine 150 kg schwer gewesen sein. Man sollte als ersten Ausgangswert rund 100 kg annehmen können.
6) Bevor auf weitere Konstruktionsdetails eingegangen wird, noch eine kurze Bemerkung zur Gesamtlänge, ehe auch diese näher betrachtet werden muss. Von Braun schrieb, dass durch den Umbau vom A1 zum A2 „keine nennenswerte Vergrößerung der Baulänge ein(trat)“ [4]. Das A2 war laut den offiziellen Dokumenten genau 1,61 m lang. Die Differenz zu den angegebenen 1,40 m (übrigens die einzige verfügbare Längenangabe für das A1 – auch in den Freiburger Zeichnungen sind keine Gesamtlängenangaben zu finden) von Dornberger mit 21 cm ist nach des Autors Meinung zu groß. Das ist mehr als nennenswert. Der Autor wird gleich mathematisch und konstruktiv begründen, dass das A1 eine weitaus größere Länge als die 1,40 m hatte, ja in einigen Bauausführungen sogar länger als das geflogene A2 war.
© Dr.-Ing. Olaf Przybilski |