Konstruktiver Aufbau
Kommen wir zum exakten Layout der Rakete.
Zuallererst: Möglicherweise gab es bei den drei bis vier gebauten Aggregat 1-Raketen genauso viele Ausführungsvarianten mit immer anderen Gesamtlängen. Es werden nun mögliche Konstruktionen aufgrund aufgefundener Bauteilzeichnungen zusammengestellt.
Einleitend eine Übersicht, wie das A1 generell aufgebaut war: Auf der Brennkammer saß über eine Verschraubung direkt der Sauerstofftank aus Turbax. Über einen Spannring ist der Brennstofftank aus Ulmal am unteren Anschlussflansch (Auslauf des Brennkammermundes) befestigt. Der Sauerstofftank wird durch einen leichten Rahmen gegen seitliche Bewegungen im Ulmalbehälter gehalten. Wir haben hier bereits sehr frühzeitig eine koaxiale Ausführung der beiden Tanks. Innerhalb des Sauerstofftanks befindet sich das Druckzusatzgerät. Wichtig außerdem der Satz: „Das Reduzierventil kann von außen einreguliert werden“ [4]. Es fehlt die Beschreibung, WIE das Druckzusatzgerät im Tank befestig wurde. Erst die Originalzeichnungen aus Freiburg bringen hier Klarheit: Eine Überwurfmutter am Einstellknebel hält den Druckminderer und die Flasche samt Absperrventil an oberer Dichtplatte des Ulmaltankrohres. Zuzüglich klemmt zwischen Platte und Druckminderer der Hüllendeckel des Schutzrohres. Dieser Deckel ist durchbohrt, damit der entspannte Stickstoff nach Verlassen des Druckminderes die Flüssigkeitsspiegel der beiden Stoffe belasten kann.
Zur Überprüfung der Sauerstoffmasse wird zuerst das Volumen abzüglich des innen liegenden Schutzbehälters für den Druckzusatz berechnet. Dafür werden Zeichnungsdaten der Durchmesser der Röhren und die der 5-Liter-Flasche (Durchmesser = 150 mm) aus dem Archiv aus Freiburg genutzt. Es wird für das maximale Sauerstoff-Volumen angenommen, dass die Schutzröhre im Inneren des Sauerstofftanks (Innendurchmesser Sauerstofftank 269 mm) komplett einen Kreiszylinder von 163 mm „herausschneidet“, obwohl auch unter der Röhre Raum zum Ausfluss des Sauerstoffs bleiben muss – das kompensiert sich mit dem Gaspolster oberhalb des Sauerstoffspiegels. Damit errechnet sich ein nutzbares Volumen für flüssigen Sauerstoff von 27,6 Litern. Im Vergleich zu den erforderlichen, oben errechneten, bis zu 19 kg LOX, ein optimaler Wert, der exakt 11 Liter Platz für die erwartete Vergasung zulässt (LOX: 1 Liter = 1,141 kg → 19 kg = 16,65 Liter).
Der Aufbau bis zur Oberkante Sauerstofftank ist nun klar und erbringt eine Länge des A1 vom September 1933 von 1235 mm. Hier gibt es einige konstruktive Besonderheiten, die in der Dissertation nicht klar beschrieben sind. Man kann dort lesen: „… da beim Aggregat 1 z.B. im Falle des Schlingerns im Freifluge Sauerstoff in den Brennstofftank hätte spritzen können… [4]. Das bedeutet zuerst, dass der LOX-Tank oben offen war. Wozu dieses Risiko? Konstruktiv nur notwendig für das Einfüllen des Sauerstoffs (sicher mit einem „Rüssel“, der ihn in den „richtigen“ Tank leitete). Weiterhin natürlich entscheidend für die gemeinsame Bedrückung der beiden Tanks über den Druckminderer, der so „entlüften“ muss, dass ein gemeinsamer Druckaufbau sowohl des Sauerstoff- als auch des Brennstofftankes erfolgen kann. Geht man von der im A2 eingesetzten Konstruktion des Druckminderers aus und setzt diesen lagegenau auch im A1 so ein, muss der Stickstoff nach unten in die Schutzröhre hinein strömen und durch im Deckel eingebrachte Bohrungen nach oben aus- bzw. durchströmen können, um beide Tanks zu erreichen. Außerdem verläuft in einem der letzten Aggregate der Nummer 1 vom erstmals eingebauten Starthahn (Dreiwegehahn) am Heck eine Rohrleitung (Durchmesser außen ca. 5 mm) zwischen Ulmaltankrohr/Rahmen und Sauerstofftank bis ganz nach oben. Das ist die Zuführung des Druckstickstoffes für die beiden Ventile und muss auch „trocken“ bedrückt werden können. Es muss also eine druckdichte Platte am oberen Ende des Ulmalbrennstofftankrohres eingebaut worden sein. In der endlich aufgefundenen Zeichnung ist hier eine sphärische Kalotte zu erkennen. In den Dokumenten schreibt man dann auch von einem „angezogenen Boden“. Hier konnte nun von unten das Druckzusatzgerät befestigt werden, welches dann von „außen einreguliert werden kann“, wie von Braun schreibt. Dazu muss aber der Druckminderer die Möglichkeit hergeben, von außen auch den Stickstofffluss total zu unterbinden, damit bei den folgenden Prozeduren der Stickstoff nicht verloren geht. Denn an das Hauptabsperrventil an der Druckflasche kommt man nach Einsetzen des kompletten Druckzusatzgeräts in der Schutzröhre nicht mehr heran (Beim A2 hatte man diesen Makel ändern können – ein Durchbruch in der Haube ermöglichte erst recht spät ein Öffnen des Absperrventils).
Konstruktiv wichtig ist somit, dass zwischen Oberkante Sauerstofftank und Druckplatte, aber auch zwischen Schutzröhrendeckel und Druckplatte ein Durchgang für die Bedrückung der Tanks und des Starthahns mit Stickstoff bleibt. Was für ein Risiko!
Aus diesem „Deckel“ ragt nun nach oben zentral die Öffnungs- und Einstellspindel für den Druckminderer heraus. Auch ohne eine Zeichnung gesehen zu haben, müssen aber noch Besonderheiten und weitere Armaturen in der Nähe der Kalotte zu finden sein: Zuerst muss hier der Durchmesser größer sein als die 300 mm des Tankrohres. Begründung: Am unteren Ende des Ulmalrohres ist mit einem Gewinde „der Ofen … mit einem Spannring druckdicht in den Brennstofftank verschraubt“ [4]. Dieser Ring aus Stahl, 55 mm hoch, oben und unten je ein Links- und Rechtsgewinde, hat einen maximalen Durchmesser von 312 mm. Da die Rakete aus einem Turm gestartet werden sollte, musste am oberen Ende ebenfalls dieser gleichgroße Durchmesser vorhanden sein, damit unten und oben eine parallele Führung gewährleistet war. Die obere Dichtplatte oder ein entsprechendes Bauteil wird also ebenfalls einen Durchmesser von 312 mm gehabt haben. Das undeutliche „Photo 20“ aus dem Dissertationsnachdruck auf S. 43 lässt zumindest erahnen, dass es so gewesen sein könnte. Die Zeichnungen in Freiburg bestätigen, dass dort ein Ring über die Dichtkalotte geschraubt ist, der die Trägerstruktur für den Kreisel aufnimmt und den gesuchten Durchmesser besitzt.
Zweitens muss hier die Haube nach den Startvorbereitungen schnell aufgesetzt und verriegelt werden können. Der erste Gedanke, dass dies mittels Bajonettverschlüssen oder Schnappern realisiert wurde, bestätigte sich nach Zeichnungseinsicht nicht. Die anfänglich exakt 500 mm lange Haube saß nur straff über der konischen Halterung für den Kreisel und hielt so durch Reibung und Strömungsandruck von vorn allein fest.
Drittens benötigte das A1 genau die gleichen Armaturen wie das A2: Sauerstoffbetankungsstutzen, Manometer (zur sichtbaren Anzeige für den hier nun gemeinsamen Innendruck der Sauerstoff-/Brennstofftanks) und ein Überdruckventil für die Berstsicherheit. Auch diese Gerätschaften wurden auf der Kalotte angebracht. Dieser Bereich muss später aus aerodynamischen Gründen ebenfalls mit der Haube abgedeckt werden.
Viertens wird mittels einer Bockkonstruktion (vier „Beine“ als Abstandshalter für die o.g. Gerätschaften) hier das Kreiselgehäuse angeschraubt. Diese liefen von dort sich schwach konisch erweiternd zum angezogenen Ring der Kalotte hin und wurden hier aufgeschraubt.
© Dr.-Ing. Olaf Przybilski
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